3. November 2016

Von der Wunderschöpfung Ruhrstadion zum Rummelplatz Grugastadion

Im vierten Teil unserer Serie „Stadiongeschichte in Essen – ein Jahrhundertprojekt“ geht es um die nach dem Zweiten Weltkrieg erneut verpasste Chance der Stadt, ein kommunales Stadion für den Essener Sport zu bauen.

Die vorhandenen Stadien am Uhlenkrug und an der Hafenstraße waren als vereinseigene Anlagen gebaut worden und mussten als solche von den Vereinen auch unterhalten werden. Dabei hatte die Firma Krupp bereits im Jahre 1912 anlässlich ihres 100-jährigen Jubiläums 500.000 Goldmark zum Bau und Unterhalt eines städtischen Stadions zur Verfügung gestellt (1. Teil unserer Serie). Mit dem noch vorhandenen Restgeld sollte nach 1945 der große Wurf endlich gelingen. Doch  trotz guter Vorsätze sollte es auch diesmal wieder anders kommen.

Essener Stadionpläne 1948 – 1963

Seit 1948 stand bei der Stadt Essen das Stadionthema wieder auf der Tagesordnung. Als Standort für ein „Ruhrstadion“ war das Gelände am Montagsloch in Essen-Rüttenscheid vorgesehen – ein altes Ziegeleigelände an der Stelle des mittelalterlichen Montagshofs –; ungefähr da, wo schon in den 1920er Jahren das kommunale Großstadion gebaut werden sollte. Nun gab es die Idee, ein „Stadion für 70.000“ oder „eine Wunderschöpfung für Hunderttausend Zuschauer“ zu errichten. Ein solches Stadion bot schließlich die Möglichkeit, ein Vorzeigeprojekt in der Zeit des Wiederaufbaus zu schaffen, in dem der Trümmerschutt aus der Innenstadt nicht nur verhältnismäßig günstig, sondern auch noch nutzbringend verwendet werden konnte. Dafür wurden 1950 von dem Restbestand der Krupp-Stiftung, die noch etwas über 10.000 Mark betrug, immerhin 1214,- DM für den weiteren „Ausbau“ des Ruhrstadions in einer verwaltungsinternen Umbuchung zur Verfügung bereitgestellt.

Das Stadtplanungsamt gab 1951 sogar ein Architektenmodell in Auftrag. Nach jahrelangen und hitzigen Diskussionen wurde allerdings 1955 vom Stadtverband für Leibesübungen der Antrag gestellt, „dass der Bau des Ruhrstadions solange zurückzustellen sei, bis in allen Stadtteilen genügend Sportstätten geschaffen worden seien.“ „Die für den Stadionbau bereitgestellten 10 Millionen DM“ sollten „für andere Objekte Verwendung finden.“ Der Antrag wurde in Anwesenheit von Sportdirektor Weitzdörfer, der 1954 den „Sportleitplan“ für die Sportstättenentwicklung in Essen vorgelegt hatte, einstimmig angenommen. Das Ruhrstadion in Essen wurde also nie realisiert. Ein Vierteljahrhundert später entstand unter diesem Namen das städtische Stadion in Bochum an der Castroper Straße.

Als hätte er diese Entwicklung geahnt, schlug Georg Melches bereits im November 1953 der Stadtverwaltung vor, auf den geplanten Bau des „Ruhrstadions“ zu verzichten. Er bot der Stadt Essen an, das Stadion an der Hafenstraße zu kaufen und dessen Fassungsvermögen auf 60-70.000 zu erhöhen. Doch die lehnte ein reines Fußballstadion ohne Laufbahn ab. Außerdem wurde der Standort Bergeborbeck verkehrstechnisch und landschaftlich als wenig reizvoll empfunden.

Turnfest 1963 – Die kleine Lösung Grugastadion

Das Essener „Ruhrstadion“ wurde nie verwirklicht, seine Pläne lediglich ansatzweise für die Ausrichtung des Turnfestes im Jahre 1963 genutzt. Neben der Turnfesthalle und Turnfestwiese baute die Stadt das Grugastadion für 30.000 Zuschauer. Ergänzend kam 1964 noch das Grugabad hinzu. Schon wenige Monate nach dem Turnfest 1963 monierte der Journalist Heinz Symann in der Essener Revue:

„Trotz Turnfestbegeisterung: Anlage ist verkorkst. Andere Ruhrstädte waren weitsichtiger. (…) Der Mut zu einem Großstadion im Herzen des Ruhrgebietes fehlte. (…) Alle Städte der unmittelbaren und weiteren Nachbarschaft exerzierten vor, wie man es machen kann. (…) Essen steht heute im Jahre 1963 auf dem Sektor der Großsportanlagen noch nicht einmal da, wo eine Stadt wie Köln schon vor 40 Jahren stand.“

Essen hatte mit den beiden vereinseigenen Anlagen an der Hafenstraße und am Uhlenkrug nun ein drittes Stadion, das niemand wirklich brauchte. Dabei hatte sich die Stadt das Projekt trotz eindringlicher Warnungen mehr als 20 Millionen DM kosten lassen, ohne aufzeigen zu können, welchen weiteren Nutzen es nach dem Turnfest haben sollte; eine städteplanerische und sportpolitische Katastrophe. Kurze Zeit nach dem Turnfest wurden Teile der Festwiese als Rummelplatz zur Nutzung von Kirmes- und Zirkusveranstaltungen zur Verfügung gestellt.

Wie schrieb Heinz Symann 1963 weiter: „Einen K.O. nach dem anderen hat die einheimische sportfreudige Bevölkerung einzustecken. Sie kann sich nur durch hartes Nehmen auszeichnen. (…) Der Karren ist total verfahren. Essen bleibt zweitrangig. Rat und Verwaltung haben das so gewollt. Freilich ist in Sachen Fußball rein leistungsmäßig zur Zeit kein Blumentopf zu gewinnen. Aber das kann sich auf längere Sicht hin ändern.“

Und drei Jahre später spielte RWE in der Fußballbundesliga!