23. Dezember 2019

„Es überwiegt das Positive“

Jörn Nowak über das vergangene Jahr.
Jörn Nowak über das vergangene Jahr.

Sportdirektor Jörn Nowak über die rot-weisse Hinrunde.

In Schlagdistanz zur Spitze sein, so lautete vor der Saison die Zielsetzung für die erste Saisonhälfte. Nach dem letzten Pflichtspiel des Jahres kann man sagen: Zielsetzung erreicht. Trotzdem ärgert sich Sportdirektor Jörn Nowak, seit Sommer in Amt und Würden, über die vertane Chance, die eigene Position noch besser zu gestalten.
 
Hallo Jörn! Wir möchten heute mit dir ein kleines Hinrundenfazit ziehen. Vorher müssen wir aber noch kurz über das Homberg-Spiel sprechen. Inwiefern beeinflusst, das Ergebnis deine Gesamtbewertung der Hinrunde?
 
Der letzte Eindruck ist immer der, der bleibt und ist das Gefühl, mit dem man sich in die Winterpause verabschiedet. Das war schon ein Nackenschlag, der gesessen hat, weil wir selbst Schuld sind, dass das Spiel so gelaufen ist. Das hat mich schon geärgert und zieht auch die Gesamtbetrachtung ein Stück weit runter. Mit einer anderen Punktzahl wäre das Fazit nochmal anders ausgefallen. Auch mit ein paar Tagen Abstand tut es noch weh.
 
…auf der anderen Seite: Hätte man dir diese Tabelle im Sommer gezeigt, hättest du das doch bestimmt so unterschrieben?

 
Unseren Punktestand ja. Mit dem Punkteschnitt zu überwintern und dem Wissen, dass man damit oben dabei ist, definitiv. Nicht unterschrieben hätte ich das enge Tabellenbild an der Spitze und dass es Mannschaften gibt, die so kontinuierlich Punkten. Gerade Rödinghausen mit 44 Punkten aus 19 oder Verl mit 40 aus 17 Spielen. Das ist sehr ordentlich und das hätte ich vor der Saison nicht so extrem erwartet. Mit unserer Punkteausbeute kann man – gemessen an dem großen Umbruch – schon zufrieden sein.
 
Du hast den großen Umbruch angesprochen. Für dich gab es ja ab dem ersten Arbeitstag in kurzer Zeit eine Menge zu tun. Wie zufrieden bist du mit den Jungs, die an die Hafenstraße gekommen sind?
 
Da kann man im Großen und Ganzen schon ein positives Fazit ziehen. Ich denke, dass alle schnell zusammengefunden haben. Jeder hat seinen Teil dazu beigetragen, dass die Mannschaft für das Erreichen der gemeinsamen Ziele direkt an einem Strang gezogen hat. Das beschränkt sich nicht nur auf die Neuzugänge: Wir können mit der ganzen Mannschaft zufrieden sein. Bei den Spielern, die neu zu uns gekommen sind, gibt es natürlich hier und da Spieler, die sich vielleicht besser entwickelt haben, andere brauchen dafür vielleicht noch ein bisschen mehr Zeit. Unter dem Strich kann man ein positives Fazit bezüglich unserer Spieler ziehen.   
 
Trotzdem sind ein paar Jungs dabei, die noch nicht so zum Zug gekommen sind…
 
Grundsätzlich muss man natürlich sagen, dass wir das Glück hatten fast ohne Verletzungen durch die Hinrunde zu kommen. Wir hatten permanent viele Spieler zur Verfügung und auch viele Spieler, die auf einem ähnlichen Niveau sind. Da ist es normal, dass es Spieler gibt, die weniger zum Einsatz kommen, die auch entgegen ihrer eigenen Erwartung mal auf der Tribüne sitzen. Wir haben es immer wieder betont: Die Saison ist lang und wir werden in der Rückrunde auch die ein oder andere Sperre oder Verletzung erleiden und dann ist es wichtig, Ausfälle kompensieren zu können. Deswegen ist jeder Spieler wichtig. Außerdem ist es auch niemandem verboten sich zu entwickeln und dem Trainer zu zeigen, dass er besser ist als derjenige, der grade spielt. Der hohe Konkurrenzkampf war in der Hinrunde ein Faustpfand dafür, dass sich Spieler auf einem hohen Niveau stabilisiert haben und diesen Konkurrenzkampf werden wir in der Rückrunde umso mehr brauchen.

Kann eine Vorbereitung da auch ein zweiter Startpunkt sein?
 
Es ist definitiv nochmal ein Startpunkt und ich glaube das ist eine Chance für die Spieler, nochmal in sich zu gehen. Sie können nochmal reflektieren und sich neue Ziele setzen. Die letzten Eindrücke des Trainerteams liegen ja beim Trainingsauftakt schon ein paar Tage zurück. Man hat dann schon vermehrt die Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen. Dass ist einfacher als mitten in der Saison, zumal der Trainer mit den Testspielen die Möglichkeit hat, sich noch ein paar Dinge anzuschauen und auszutesten. Jeder Spieler kann sich da neu in den Fokus spielen.
 
Jetzt haben wir viel über die Spieler gesprochen, die du zu Beginn der Saison verpflichtet hast. Weißt du noch, wie du am 26. Juli um 19.27 Uhr vor dem Spiel gegen die U23 des BVB hier den Spielertunnel verlassen hast? Ist man sich da hundertprozentig sicher, dass alles funktioniert was man sich vorher überlegt hat?
 
Ich hatte an dem Tag schon eine große Anspannung, aber vor allem natürlich auch eine riesige Vorfreude, nicht zuletzt, weil das Stadion voll war. Das Wetter war zum Fußballspielen sehr grenzwertig. Bis in die Abendstunden hatten wir Temperaturen jenseits der 30 Grad. Man reflektiert dann nochmal die Vorbereitung, in der wir gegen Homburg sechs Gegentore bekommen haben und von Offenbach nochmal zwei. Wir haben einen guten und erfrischenden Fußball gespielt, haben aber auch gesehen, dass wir im Defensivverbund noch nicht so stabil sind, wie wir es sein müssten. Man geht dann schon mit einer gewissen Anspannung in das Spiel rein. Ich war aber immer von der Qualität des Kaders und des Trainerteams überzeugt.
 
Und wie hast du dann den Spielertunnel nach Abpfiff wieder betreten?
 
Das war eine Mischung aus Euphorie, Stolz und Glücksgefühlen. Das erste Spiel so spät mit einer Kraftleistung zu gewinnen und eigentlich auch spät erst den Ausgleich zu schaffen, hat geholfen relativ schnell ein Band zwischen Mannschaft und Fans zu schmieden. Das hat uns im Laufe der Hinrunde immer mal wieder geholfen. Der Moment war für die Entwicklung in dieser Saison eminent wichtig.
 
Dann ging es sehr positiv weiter. Mit Ausnahme des Spiels gegen Rödinghausen wurde alles gewonnen, dann kam diese erste Niederlage. Man hatte vorher schon gesagt, dass es mit der neu zusammengestellten Mannschaft auch mal eine Phase geben könnte, in der es nicht so läuft. Auch wenn man das vorher sagt wie fühlt sich das in dem Moment an?

 
Wir analysieren ja tiefergehend. Für uns stehen da nicht nur die Niederlagen, sondern wir schauen uns die Gründe genauer an. Bei der ersten Niederlage gegen Verl war die Ausgangsposition so, dass wir die Möglichkeit hatten, uns mit einem Sieg abzusetzen. Wir haben es dem Gegner zu einfach gemacht, Tore zu erzielen. Wir lagen relativ schnell hinten und konnten ausgleichen, haben dann aber direkt das zweite Gegentor bekommen. In der zweiten Halbzeit waren wir dann drauf und dran den Ausgleich zu machen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir wieder in das Spiel zurückkommen und dann haben wir uns durch zwei katastrophale individueller Fehler  selber das Genick gebrochen. Verl war da auch eiskalt und hat das ausgenutzt. Das Ergebnis hat am Ende des Tages dann schon wehgetan. Wenn  man Zuhause 1:4 verliert, auch wenn es die erste Saisonniederlage war, dann tut das schon weh. Dann hat die Mannschaft mit der ersten Halbzeit in Gladbach eine richtig gute Reaktion gezeigt. Da hat uns leider ein bisschen das Matchglück gefehlt. Der Elfmeter vor der Halbzeit war definitiv ziemlich unnötig und unglücklich. Man hat dann gemerkt, dass die psychische Stabilität innerhalb der Mannschaft erst noch wachsen musste. Dieser Nackenschlag gepaart mit dem Doppelschlag nach der Pause hat eine extreme Verunsicherung hervorgerufen. Wir haben das bildlich so beschrieben: Der Panzer hat Risse bekommen. Und so passiert dann hier Zuhause die dritte Niederlage der Saison, bis zum damaligen Zeitpunkt sicherlich unser schlechtestes Saisonspiel. Gegen Fortuna Köln war die Verunsicherung spürbar und wir haben unsere Qualitäten nicht auf den Platz bekommen. Wir mussten uns erstmal schütteln und wir haben dann viel gearbeitet und viele Gespräche geführt. Wir sind noch näher zusammengerückt und wie die Mannschaft dann punktemäßig aus der Saison herausgekommen ist, war schon aller Ehren wert. Es war natürlich trotzdem nicht eingeplant, dass wir drei Spiele am Stück verlieren.
 
Trotzdem könnte man doch sagen, dass die Mannschaft zu Beginn der Saison über den Erwartungen gepunktet hat oder? Hätte man da nicht eher erwartet, dass sie sich ein bisschen schwerer tut in die Saison reinzukommen?
 
Ja. Es war sicherlich nicht zu erwarten, dass man so marschiert. Wir haben sieben Siege und ein Unentschieden aus den ersten acht Spielen eingefahren. Es waren auch viele knappe Siege dabei und Siege, die wir erst sehr spät klar gemacht haben. So eine Serie gibt viel Auftrieb und irgendwann ist es dann so, dass du die Spiele alleine aus dem Selbstbewusstsein heraus schon gewinnst und das gilt es sich immer zu erarbeiten. Der erste, zweite, dritte, vierte Sieg ist immer besonders harte Arbeit und der fünfte, sechste Sieg geht schon ein bisschen leichter von der Hand. Wenn du das Selbstvertrauen hast, kommst du in eine Flow rein und musst dich dann wechselnden Widerständen erwehren.  
 
Die Mannschaft hat dann auch, das Homberg Spiel mal ausgeklammert, recht beeindruckend wieder in die Spur gefunden. Gibt es ein Attribut von dem du sagen würdest: Das zeichnet die Mannschaft aus?
 
Die Mannschaft zeichnet aus, dass sie charakterstark bereit ist, sich gegen alle Widerstände zu erwehren. Sie steht füreinander ein. Wenn mal jemand einen schlechten Tag hat, springt der Nächste in die Bresche. Ich glaube, dass die Mannschaft eine klare Zielsetzung für sich hat und auch bereit ist, sehr viel zu investieren, um die Ziele zu erreichen.
 
Lass uns ein bisschen nach vorne schauen. Jetzt ist erstmal Urlaub angesagt, es gilt, den Kopf freizukriegen. Schafft man das als Spieler eigentlich? Kann man sich von dem ganzen Geschehen lösen oder nimmt man das mit unter den Weihnachtsbaum?
 
Teils teils. Jetzt überwiegen schon die positiven Gedanken in Bezug auf die Hinrunde. Du kannst dann als Spieler schon relativ schnell abschalten, weil es deine freie Zeit ist und davon gibt es im Laufe des Jahres nicht viel. Das gelingt relativ gut. Der ein oder andere fährt in den Urlaub und verbringt mal ein bisschen Zeit mit der Familie.
 
Am 3. Januar startet die Vorbereitung. Gibt es da einen klaren Fokus, von dem ihr sagt: Daran wollen wir unbedingt arbeiten?

 
Wir haben eine sehr kurze Vorbereitung. Nur drei Wochen. Wir müssen dann direkt da sein, denn es folgen für uns sehr wichtige Spiele. Wir werden die drei Wochen optimal nutzen müssen, um uns bestmöglich vorzubereiten. Wir wollen die Spielidee verfestigen, gewisse Abläufe weiter verbessern und auch im mentalen Bereich noch ein bisschen arbeiten. Ein wichtiger Punkt für die Rückrunde ist, dass wir Zuhause konstanter werden. Wir haben in den letzten fünf Heimspielen nur sechs Punkte geholt. Das ist für unsere Ansprüche zu wenig. Wir sprechen immer davon, dass die Hafenstraße unser Faustpfand werden muss und zu Beginn haben wir das auch gut umgesetzt. Aber in den letzten Spielen hatten wir nicht mehr die Konstanz, die notwendig ist. Da werden wir auch schauen, woran es liegt und schnellstmöglich daran arbeiten. Wir haben in der Rückrunde noch viele Heimspiele und dort wollen wir natürlich so viele Punkte wie möglich einfahren.
 
Lass uns über das Nachwuchsleistungszentrum reden. Ein großer Teil deiner Arbeit ist die Zusammenarbeit mit dem NLZ. Schaut man auf die Tabelle ist das eine extrem erfolgreiche Hinrunde bis jetzt, oder?
 
Ja. Gemessen an den Ergebnissen, die die Mannschaften im Leistungsbereich gesammelt haben, kann man sehr zufrieden damit sein. Dennoch sind wir ja nicht mit den Ligen zufrieden, in denen die Mannschaften aktuell spielen. Mit der A- und B-Jugend in der Niederrheinliga vertreten zu sein, ist nicht der Anspruch von Rot-Weiss Essen. Deshalb haben wir den Wunsch mit den Mannschaften so schnell wie möglich in die höchste Spielklasse zurückzukehren. Insbesondere die U17 hat da mit Duisburg und Oberhausen starke Konkurrenz. Die U19 ist als einziges NLZ in der Niederrheinliga vertreten, da ist die Erwartungshaltung ein bisschen größer. Beide Mannschaften haben gut gepunktet. Die U17 hat eine sehr gute Hinrunde gespielt und viel von den Dingen, die wir NLZ gerne sehen wollen, umgesetzt. Sie haben viele Tore gemacht und sind dominant aufgetreten. Bis auf eine Niederlage hat die U17 auch alles gewonnen. Damit sind wir sehr zufrieden, genau wie mit der Entwicklung in der U15, die acht Punkte vor den Abstiegsrängen stehen. Es ist sehr wichtig für unsere Ausbildung, dass wir es schaffen, die Mannschaften in den höchsten Spielklassen zu etablieren, weil wir dann auch besser ausbilden können.
 
In dieser Saison trainieren immer wieder Jungs aus der Jugend bei der 1. Mannschaft. Wie weit siehst du den Abstand zwischen U19 und Regionalliga-Mannschaft?
 
Generell ist der Abstand in den letzten Jahren größer geworden. Das Niveau der U19 Bundesliga ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Wenn der Druck, Ergebnisse zu erzielen, so hoch ist, hat man nicht die Möglichkeit, einen A-Jugendlichen reinzuschmeißen und ihm mal vier, fünf Spiele zu geben, damit er den nächsten Entwicklungsschritt macht. In den vier-fünf Spielen kann schon so viel passiert sein, dass die Ziele des Vereins nicht erreicht werden. Wir haben talentierte Jungs in unserem Nachwuchsbereich, aber wir werden in den nächsten Jahren auch viel arbeiten müssen, um die Jungs schon während der Jugendzeit auf ein anderes Level zu bekommen, damit wir in der ersten Mannschaft davon profitieren können. Unser Fokus liegt in der Ausbildung der Spieler und ich denke, dass es dort generell in Deutschland wieder Nachholbedarf gibt. Das NLZ ist ein wichtiger Bestandteil unseres Vereins und hat die Hauptaufgabe, Spieler für die 1. Mannschaft auszubilden. Das wollen wir, aber das wird nicht von heute auf morgen gehen.