9. Oktober 2020

DFB-Pokal-Krimi von 1995

Christian Dondera, der in der 15. Minute erst eingewechselt worden war, gelangen gegen den Bundesligisten zwei Tore.
Christian Dondera, der in der 15. Minute erst eingewechselt worden war, gelangen gegen den Bundesligisten zwei Tore.

Vor 25 Jahren – Bengalische Feuer an der Hafenstraße.

Welcher RWE-Fan erinnert sich nicht an das Pokal-Achtelfinale am 4. Oktober 1995 gegen Bayer 04 Leverkusen? Der damalige Drittligist Rot-Weiss Essen aus der Regionalliga West/Südwest hatte den mit Stars wie Bernd Schuster, Paulo Sèrgio und Rudi Völler angetretenen Bundesligisten an den Rand einer Niederlage gebracht. Nach 120 Minuten stand es 4:4 im Georg-Melches-Stadion. Erst nach Elfmeterschießen zog die RWE-Elf mit 5:8 den Kürzeren. Der ausführliche ZDF-Spielbericht ist noch heute auf Youtube zu sehen.

„Hafenstraße, Georg-Melches-Stadion, 25.000 Zuschauer, knallvolle Hütte und eine Begrüßung wie ich sie in 23 Berufsjahren außer in Mexiko City, Aztekenstadion, noch nie erlebt habe. Die Folge dieser bengalischen Eröffnung: Stromausfall, zwei Flutlichtmasten streikten, unsere Ü-Wagentechnik wurde lahmgelegt, die Spieler nur noch schemenhaft zu erkennen.“ Mit diesen Worten begann ZDF-Moderator Rolf Töpperwien seinen Spielbericht über das wohl beste und packendste DFB-Pokalspiel im GMS.

Ein Pokalspiel der Extraklasse
Die Partie wurde trotz Pyrotechnik angepfiffen. Erst nach einer Viertelstunde Spielzeit funktionierten wieder Strom und Licht. Töpperwien weiter: „Das Publikum an der Hafenstraße frenetisch, das Spiel äußerst temporeich und mit großen Emotionen geführt.“

RWE kam besser in die Partie und hatte durch Christian Dondera und Dirk "Putsche" Helmig die ersten guten Torchancen. Erst nach einer halben Stunde kam auch der Bundesligist zu einer Tormöglichkeit, die Essens Abwehr aber zur Ecke klären konnte. Eine Flanke von Paulo Sèrgio in der 36. Minute nutzte Markus Feldhoff dann völlig freistehend aus kurzer Distanz zum 1:0 für die Gäste. Kurz vor der Pause gelang Putsche Helmig mit einem Kopfball der Ausgleichtreffer. „Die Bank der Essener, die Zuschauer, das Stadion – uralt – wackelte in seinen Grundfesten. 1:1 nach 45 Minuten im Tollhaus Hafenstraße“, kommentierte Rolf Töpperwien. Auf dem Gang zur Kabine wurde der Torschütze erst einmal interviewt und Putsche äußerte sich zuversichtlich, das Siegtor in der zweiten Halbzeit zu erzielen. 

Doch kurz nach dem Wechsel wurde RWE nach einem schönen Zuspiel von Bernd Schuster durch Paulo Sèrgio in der 48. Minute kalt erwischt und Leverkusen ging erneut in Führung. RWE kämpfte, kombinierte vor und im Leverkusener Strafraum und so gelang Christian Dondera der erneute Ausgleich zum 2:2 in der 57. Minute. „An der Hafenstraße war alles wieder offen. Essen jetzt noch mehr getragen vom enthusiastisch mitgehendem Publikum“, lautete das Zwischenfazit des ZDF-Kultreporters.

Ausgleich zum Spielzeitende – RWE gibt nie auf
Drei Riesenmöglichkeiten schlossen sich an, „in einem Spiel, dass keiner der 25.000 Zuschauer in den nächsten Jahren vergessen dürfte.“ (…) „Dirk Helmig – er machte das Spiel seines Lebens –, tunnelt Schuster, wer kann das schon von sich behaupten?" Ein offener Schlagabtausch, in dem ausgerechnet Nationalspieler Holger Fach – Jahre später sollte er ein kurzes Intermezzo auf der Essener Trainerbank haben – den erneuten Leverkusener Führungstreffer zum 3:2 erzielte. Und es kam noch schlimmer. Mitten in die weiteren Essener Angriffsbemühungen gelang Bayer Leverkusen in der 73. Minute ein Konter, den Rudi Völler eiskalt zur 4:2 Führung nutzte.

RWE gab nicht auf, das Publikum unterstützte lautstark mit „Rot-Weiss Essen – schallalalalalala"-Gesängen und in der 74. Minute verkürzte Christian Dondera zum 3:4. Nur zwei Minuten später erzielte Putsche Helmig, der laut Töpperwien „Luft für drei Spiele hatte", erneut per Kopf den 4:4-Ausgleichtreffer. „Solch ein Pokalspiel habe ich noch nicht erlebt. Unvorstellbar, aber wahr.“

Entscheidung im Regen und Happy End zum Saisonende

Dann der Abpfiff, 90 unvergessene Minuten waren rum. Es gab Verlängerung, in der kein Tor mehr fiel. Putsche Helmig hatte aus spitzem Winkel in der 119. Minute noch einmal eine Schussmöglichkeit, die Leverkusens Torhüter Dirk Heinen aber klären konnte. Die Entscheidung um den Einzug ins DFB-Pokalviertelfinale musste im Elfmeterschießen fallen. Und auf einmal goss es aus allen Rohren. Ioan Lupescu trat als erster Schütze an und traf für Bayer 04 Leverkusen. Ausgerechnet Dirk Helmig scheiterte mit dem ersten Essener Elfmeter. Töpperwien kommentierte: „Man konnte kaum das Tor sehen." Als auch Stefan Thiele verschoss, entschied Bernds Schuster mit seinem Elfmeter zum 5:8 die Partie. 

Trotz der unglücklichen Niederlage hatte sich die von Rudi Gores betreute RWE-Mannschaft große Sympathien erarbeitet. War man auch nach großem Kampf gescheitert, so konnte ganz Essen am Ende der Saison 1995/96 aber den Aufstieg in die 2. Bundesliga feiern.

Ein Beitrag unseres ehrenamtlichen Vereinshistorikers Georg Schrepper.