31. Januar 2021

DFB-Pokal-Evergreen an der Hafenstraße

Letzte Anweisungen vor der Verlängerung 1995: Trainer Rudi Gores und Abwehrchef Ingo Pickenäcker. (Foto: Archiv)
Letzte Anweisungen vor der Verlängerung 1995: Trainer Rudi Gores und Abwehrchef Ingo Pickenäcker. (Foto: Archiv)

Ein Rückblick auf Packende Pokalfights gegen Bayer Leverkusen.

Rot-Weiss Essen – Bayer Leverkusen. Bereits zum vierten Mal kommt es im DFB-Pokal an der Hafenstraße zum Aufeinandertreffen zwischen den Klubs aus der Ruhrmetropole und dem rheinländischen Chemieverein. Im ersten Vergleich gab es einen klaren 4:1 Erfolg für den RWE. Leverkusen setzte sich in den beiden anderen Spielen jeweils nur mit viel Glück durch. In beiden Spielen war RWE von der Papierform klarer Außenseiter, was auf dem Platz dann aber keine Rolle spielte. 

1981 – Keine Chance für Leverkusen
Das erste Aufeinandertreffen gab es in der 3. Runde des DFB-Pokals 1981/82 am 15.12.81 vor nur 5.000 Zuschauern im Georg-Melches-Stadion. Rot-Weiss Essen war schlecht in die erste Saison der neuen eingleisigen 2. Bundesliga gestartet und stand zum Pokaltermin nur auf dem 15. Platz. Auch Bayer Leverkusen dümpelte im unteren Tabellenbereich der Bundesliga und musste am Ende der Spielzeit als Tabellensechzehnter sogar in die Relegation, die sie mit zwei Siegen gegen Kickers Offenbach gewannen.

Im DFB-Pokalspiel an der Hafenstraße hatte die Werkself aber keine Chance. Rot-Weiss Essen ging in der ersten Halbzeit durch Tore von Dietmar Klinger (17.) und Karl-Heinz Timmler (26.) mit 2:0 in Führung. Auch der Leverkusener Anschlusstreffer kurz vor dem Halbzeitpfiff brachte die Bergeborbecker nicht aus dem Rhythmus, die nach dem Wechsel die Führung mit Toren von Matthias Herget (79.) und Gregor Grillemeier (89.) zum deutlichen 4:1-Sieg ausbauten. Drei Wochen später schied RWE dann aber im Achtelfinale gegen Borussia Mönchengladbach aus.

Auf Seiten der Leverkusener Gäste stand übrigens Jürgen Gelsdorf in der Abwehr, der 2004 als Trainer mit RWE den Aufstieg in die 2. Bundesliga schaffen sollte.

1995 – Ein Pokalspiel der Extraklasse
Welcher RWE-Fan erinnert sich nicht an das Pokal-Achtelfinale am 4. Oktober 1995 gegen Bayer 04 Leverkusen? Der damalige Drittligist Rot-Weiss Essen aus der Regionalliga West/Südwest hatte den mit Stars wie Bernd Schuster, Paulo Sèrgio und Rudi Völler angetretenen Bundesligisten an den Rand einer Niederlage gebracht. Nach 120 Minuten stand es 4:4 im Georg-Melches-Stadion. Erst nach Elfmeterschießen zog die RWE-Elf mit 5:8 den Kürzeren. Der ausführliche ZDF-Spielbericht ist heute noch auf Youtube zu sehen:

 „Hafenstraße, Georg-Melches-Stadion, 25.000 Zuschauer, knallvolle Hütte und eine Begrüßung wie ich sie in 23 Berufsjahren außer in Mexiko City – Aztekenstadion – noch nie erlebt habe. Die Folge dieser bengalischen Eröffnung: Stromausfall, zwei Flutlichtmasten streikten, unsere Ü-Wagentechnik wurde lahmgelegt, die Spieler nur noch schemenhaft zu erkennen.“ Mit diesen Worten begann ZDF-Moderator Rolf Töpperwien seinen Spielbericht über das wohl beste und packendste DFB-Pokalspiel im GMS.

RWE kam besser in die Partie und hatte durch Christian Dondera und Dirk "Putsche" Helmig die ersten guten Torchancen. Erst nach einer halben Stunde kam auch der Bundesligist zu einer Tormöglichkeit, die Essens Abwehr aber zur Ecke klären konnte. Eine Flanke von Paulo Sèrgio in der 36. Minute nutzte Markus Feldhoff völlig freistehend aus kurzer Distanz zum 1:0 für die Gäste. Kurz vor der Pause gelang Putsche Helmig mit einem Kopfball der 1:1-Ausgleichtreffer. Auf dem Gang zur Kabine wurde der Torschütze erst einmal interviewt und Putsche äußerte sich zuversichtlich, das Siegtor in der zweiten Halbzeit zu erzielen.

Doch kurz nach dem Wechsel wurde RWE nach einem schönen Zuspiel von Bernd Schuster durch Paulo Sèrgio in der 48. Minute kalt erwischt und Leverkusen ging erneut in Führung. RWE kämpfte, kombinierte vor und im Leverkusener Strafraum und so gelang Christian Dondera in der 57. Minute der erneute Ausgleich zum 2:2.

Packende Schlussphase
Drei Riesenmöglichkeiten schlossen sich an. Ein offener Schlagabtausch, in dem ausgerechnet Nationalspieler Holger Fach – Jahre später sollte er ein kurzes Intermezzo auf der Essener Trainerbank haben – den erneuten Leverkusener Führungstreffer zum 3:2 erzielte. Und es kam noch schlimmer. Mitten in die weiteren Essener Angriffsbemühungen gelang Bayer Leverkusen in der 73. Minute ein Konter, den Rudi Völler eiskalt zur 4:2 Führung nutzte.

RWE gab nicht auf und praktisch im Gegenzug verkürzte Christian Dondera in der 74. Minute zum 3:4. Nur zwei Minuten später erzielte Putsche Helmig – der laut Töpperwien „Luft für drei Spiele hatte" – erneut per Kopf den 4:4 Ausgleichtreffer. „Solch ein Pokalspiel habe ich noch nicht erlebt. Unvorstellbar, aber wahr.“

Entscheidung im Regen
Dann der Abpfiff – 90 unvergessene Minuten waren rum – es gab Verlängerung, in der kein Tor mehr fiel. Putsche Helmig hatte aus spitzem Winkel in der 119. Minute noch einmal eine Schussmöglichkeit, die Leverkusens Torhüter Dirk Heinen aber klären konnte. Die Entscheidung um den Einzug ins DFB-Pokalviertelfinale musste im Elfmeterschießen fallen. Und auf einmal goss es aus allen Rohren. Ioan Lupescu trat als erster Schütze an und traf für Bayer 04 Leverkusen. Ausgerechnet Dirk Helmig scheiterte mit dem ersten Essener Elfmeter. Töpperwien kommentierte: „Man konnte kaum das Tor sehen." Als auch Stefan Thiele verschoss, entschied Bernds Schuster mit seinem Elfmeter zum 5:8 die Partie.

2002 – Entscheidung durch Weltmeister Lucio
In der Saison 2002/03 kam es an der Hafenstraße erneut zum Pokalduell zwischen dem damaligen Drittligisten RWE und Bayer Leverkusen. Auf Seiten der Gäste standen mit Carsten Ramelow, Bernd Schneider, Oliver Neuville und Lucio insgesamt vier Spieler des WM-Finalspiels Brasilien – Deutschland vom 30. Juni 2002 auf dem Platz.

Die Rollen waren also klar verteilt, zumal RWE den Auftakt in die neue Saison, die eigentlich den Aufstieg in die 2. Bundesliga bringen sollte, mit nur einem Sieg aus den ersten sechs Spielen und einem Torverhältnis von 5:5 Toren gründlich vermasselt hatte. Die Einstellung der Mannschaft und die katastrophale Torausbeute zu Saisonbeginn ließ die Fans schon recht früh verzweifeln. Dennoch kamen am 1. September 2002 zum DFB-Pokalspiel der 3. Runde über 20.0000 Fans ins Georg-Melches-Stadion.

Die schwache Torquote der Rot-Weissen zeigte sich auch in diesem Spiel. Der als Torjäger zum Ende der vorherigen Saison verpflichtete Routinier Achim Weber erfüllte zwar in seinen ersten Spielen für RWE die ihn gesetzten Erwartungen. Jetzt aber hatte er seit fünf Spieltagen nicht mehr getroffen. Und auch diesmal sollte es nicht klappen. Trainer Harry Pleß verteidigte jedoch seinen Kapitän: „Weber ist nach wie vor gefährlich, er zieht die Gegenspieler auf sich, schirmt die Bälle ab und verteilt sie. Dann müssen eben andere die Tore schießen.“ Im Laufe der weiteren Saison sollte Achim Weber noch auf 16 Treffer kommen.

Mit „0:1 verloren, aber wie ein Sieger von 20.000 umjubelt.", leitete Klaus Fleiss in der WAZ seinen Spielbericht ein. Weltmeister Lucio hatte in der 24. Minute den entscheidenden Treffer für die Werkself erzielt. Harry Pleß zog trotz der Niederlage ein positives Fazit: „Einige Spieler sind über sich hinausgewachsen. Unglaublich, wie viele Zweikämpfe wir gewonnen haben. Spieler und Fans haben beste Werbung für den Verein gemacht.“

Bayer Leverkusens Trainer Klaus Toppmöller lobte: „Ich ziehe meinen Hut, Respekt vor RWE. Wir hatten einige Mühe, um durch ein Tor aus einer Standardsituation zu gewinnen. (…) „An der Hafenstraße muss man erst einmal gewinnen. Essen hat eine Mannschaft mit Zweitliga-Niveau.“ Vizeweltmeister Bernd Schneider ergänzte: „Mit diesem Publikum ist RWE eine Macht.“

Ein Beitrag unseres ehrenamtlichen Vereinshistorikers Georg Schrepper.