30. September 2020

1945: der zweite Gründungsmythos von Rot-Weiss Essen

Das Stadion an der Hafenstraße mit seiner Holztribüne nach dem Neuaufbau.
Das Stadion an der Hafenstraße mit seiner Holztribüne nach dem Neuaufbau.

Gemeinsam mit Vereinshistoriker Georg Schrepper wirft RWE einen Blick in die Vergangenheit.

Uwe Wick hat in der kurzen fuffzehn zum 111-jährigen Vereinsjubiläum 2018 an den ersten Gründungsmythos von RWE erinnert: Ein Ball auf dem Weihnachtsgabentisch für die Brüder Georg und Hermann Melches und die ersten Spiele zwischen Straßen- und heimischen Gartentor sowie auf den Wiesen der Borbecker Mark nahe der Zeche Emscher gelten als „Grundstein zum Bau unseres heutigen Sportvereins `Rot-Weiß´.“

So erinnert sich zumindest Karl Utzat, Jugendfreund von Georg Melches, im Jahre 1925 an die Anfänge. Der Vereinsname Rot-Weiss Essen wurde aber erst 1923 gewählt. Bis dahin hatten die jungen Fußballpioniere zunächst unorganisiert, dann als Spielabteilung eines Turnvereins und schließlich selbstständig als Spiel- und Sportverein Emscher bzw. Spiel und Sport 1912 gespielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand RWE vor einem erneuten Neuanfang.

Neuanfang in Trümmern
Der Zweite Weltkrieg endete in Essen am 11. April 1945 mit der Übernahme der Stadt durch US-amerikanische Truppen. Am 21. Juni übernahmen die Briten von den Amerikanern das Ruhrgebiet. Die britische Militärregierung erlaubte am 3. August der Essener Bevölkerung die sofortige Wiederaufnahme des Sportbetriebs. Am 18. August meldete die Ruhr-Zeitung, das offizielle Organ der britischen Besatzungsbehörde, dass bereits fünfzehn Mannschaften in Essen Fußballspiele ausgetragen haben – darunter auch Rot-Weiss Essen.
Von nun an wurden die Begegnungen des kommenden Wochenendes regelmäßig angekündigt und Spielberichte wieder veröffentlicht. Am 5. September wurde im Polizeipräsidium eine Fußballbörse eingerichtet. Schließlich begannen am 14. Oktober die Punktspiele um die Essener Fußballmeisterschaft.
Dabei glich das Stadtbild einer Trümmerlandschaft. Nach insgesamt 272 Luftangriffen lag 60 Prozent der Essener Bausubstanz in Schutt und Asche, in der Essener Altstadt sogar 90 Prozent.
Auch bei den Sportanlagen sah es ziemlich trostlos aus. Von Essens 78 Sportplätzen und 67 Turnhallen blieben nur 30 teilweise noch beschädigte Plätze und sieben größtenteils behelfsmäßig hergestellte Hallen erhalten.

Der zweite Gründungsmythos
Wie sah die Situation bei Rot-Weiss Essen aus? Die Verluste unter den Mitgliedern waren sehr hoch. Im Zweiten Weltkrieg starben 55 aktive und 57 passive Mitglieder. Das Stadion an der Hafenstraße lag mitsamt Tribüne, Klubhaus und Umkleideräumen in Trümmern, die Spielfläche glich einer Kraterlandschaft und stand unter Wasser.
In dieser Situation rief Georg Melches für den 31. August 1945 die erste Mitgliederversammlung ein, die vor den Trümmern der Tribüne auf dem verschlammten Boden des Spielfeldes stattfand. Dieses Treffen unter freiem Himmel ist gleichsam der zweite Gründungsmythos in der Vereinsgeschichte. Wie in den Anfängen war es erneut der Vereinsgründer, der die Initiative ergriff und Mitstreiter gewinnen und begeistern konnte. Es wurde beschlossen, „den Spielbetrieb wieder aufzunehmen, die Spielfläche wieder herzurichten und dann nach und nach die Schäden, die durch Feindeinwirkung an der Platzanlage entstanden sind, zu beseitigen.“

Für die Instandsetzung wurde auf der Vereinsversammlung am 6. September 1946 sogar ein fester Arbeitstag festgelegt. Mit bescheidenen Mitteln musste man sich anfangs zufrieden geben. Als Umkleideraum diente ein Klassenraum der Volksschule Vogelheim, an deren Stelle später die Haupttribüne entstand. In der Festschrift von 1957 heißt es dazu: „Notdürftig wurden die Fensterhöhlen mit Brettern unserer Tribünenreste zugeschlagen. Der Weg zur Klasse, die noch als einzige des ganzen Schulgebäudes wenigstens vier Wände, Decke und Fußboden besaß, musste erst durch Trümmer gebahnt werden. Als Waschgelegenheit standen einige Eimer kalten Wassers zur Verfügung.“

Wiederaufbaujahre
In den Folgejahren entstand ein Klubhaus mit Geschäftszimmer, Gesellschaftsraum, drei Umkleideräumen mit zwei Duschräumen, einer Kegelbahn und einer Wohnung für Platzwart Heinrich Breitbach. Darüber hinaus wurde zwischen der späteren Haupttribüne und dem Bahndamm eine Grünanlage angelegt, die im Volksmund in Anlehnung an den 1929 im Rahmen der „Grossen Ruhrländischen Gartenbau –Ausstellung“ (Gruga) geschaffenen Park im Essener Süden „Kleine Gruga“ hieß und auch nach diesem Vorbild geschaffen wurde.
Die Platzanlage selbst war innerhalb von zwei Jahren wieder großzügig ausgebaut worden. Am 3. Oktober 1948 konnte auf der Mitgliederversammlung vermeldet werden, dass der Platz nun eingezäunt, die Tribüne fertig gestellt und eine Lautsprecheranlage angelegt worden sei.
Im gleichen Jahr stieg Rot-Weiss Essen in die Oberliga West, der damals höchsten deutschen Spielklasse, auf. Hier entwickelte man sich zu einem Spitzenklub, der internationales Ansehen gewann und mit dem Gewinn des DFB-Pokals 1953 und der deutschen Meisterschaft 1955 sowie der Einweihung der multifunktionalen Haupttribüne 1957 das Lebenswerk Georg Melches krönte.

Ein Beitrag unseres ehrenamtlichen Vereinshistorikers Georg Schrepper.